2011


10 Künstler – 10 Tage – 10 Orte im Bahnhofsviertel Münster

Mark Formanek | Anja Jensen | Miriam Jonas | Ruppe Koselleck | Karsten Neumann | Verena Püschel
Stefan Rosendahl | Eilike Schlenkhoff | Janine Tobüren | Timm Ulrichs




Mark Formanek

Standard Time


11Bei Mark Formaneks Arbeit Standard Time wird an der Uhr gedreht. Genauer: es wird an ihr geschraubt. Aber nicht etwa, wie die Bauarbeiterkluft der Akteure im ersten Moment vielleicht suggerieren könnte, um etwas zu reparieren, nein, hier sind eine ganze Menge Menschen damit befasst, eine Uhr – ja was eigentlich? Zu bauen, am Laufen zu halten, darzustellen? Mark Formanek nennt seine Arbeit im Untertitel „eine Skulptur über die Zeit“. Das ist schön gesagt, denn es lenkt unsere Aufmerksamkeit auf den Umstand, dass hier aus einfachen Bestandteilen, einem großen Gerüst und zahlreichen Holzlatten, mit Leitern, Schraubzwingen und Akkuschraubern eine Digitalanzeige überlebensgroß und plastisch gebaut wird.

www.standard-time.com



Anja Jensen

Are & Nele


11Die Werbung in unseren Städten und auf Bahnhöfen ist in aller Regel nichts sonderlich erfreuliches. Wie kann man dem begegnen außer mit Ignoranz, also der Haltung des „Augen zu und durch“? Ich plädiere für die Methode, die Anja Jensen anwendet, die poetische Subversion. Die Künstlerin bedient sich raffinierterweise der in Bahnhöfen ganz üblichen Leuchtdisplays und bestückt sie mit ihren ganz eigenen photographischen Motiven. Das heißt, dem eilig durch den Tunnel zum Bahnsteig rennenden Reisenden mag es völlig entgehen, dass er hier an künstlerisch Wertvollem vorbeikommt. Allen anderen wird auch nicht lauthals entgegen geschrieen “Hallo, hier gibt‘s Kunst“. Es ist eher das Fehlen von Schrift, von einer plumpen und direkten Botschaft, das unterschwellig irritiert, das an diesem Ort so unerwartete Leise und eben Poetische. Die Künstlerin hat im Fußgängertunnel zwei nächtliche Motive einander gegenübergestellt: auf der einen Wand ein Mädchen, Nele, das vor einem riesenhaften Feuer steht, dieser bedrohlichen Elementargewalt aber den Rücken zukehrt und uns selbstbewußt, fast ein bißchen aufmüpfig anblickt. Fast so, als könnte sie das Feuer gelegt haben. Aber es geht Anja Jensen nicht um das Anekdotische, eher um das fast schon Symbolhafte, jedenfalls Allgemeingültige, das sich auf der emotionalen Ebene unmittelbar vermittelt: Ein Gefühl der trotzig verborgenen Einsamkeit des Teenagers und der Schutzlosigkeit gegenüber den Gewalten der Natur. Viel schlimmer noch als Nele ergeht es ihrem Gegenüber Are; der steht mitten im Wasser, viel dunklen Himmel über sich, nur weit entfernt am Horizont ist ein Küstenstrich zu erkennen, und keine Menschenseele weit und breit. In seinem Gesicht spiegeln sich die Verlorenheit, der Eindruck der Verlassenheit und des Ausgeliefertseins. Die Melancholie scheint begründet angesichts der Wassermassen ringsum. Natürlich ist das alles inszeniert; die Künstlerin hat ein Gegensatzpaar par excellence konstruiert, die Elemente als Gefährdungspotential, hier Wasser, da Feuer, hier Junge, da Mädchen. Are und Nele stehen stellvertretend für alle Heranwachsenden, mit all ihrem Zukunftspotential, all ihren Ängsten, in all ihrer Schutzbedürftigkeit – und durch die Namensgebung, die ein bißchen nach Adam und Eva klingt, dann vielleicht auch für die ganze Menschheit. Und was hat das Ganze mit dem Bahnhof zu tun? In Wahrheit geht es der Künstlerin vor allem um die Melancholie. Eine dem Bahnhof sehr angemessene Stimmung, wo es so viele Abschiede gibt und wo alle Werbung der Welt nicht gegen die Trostlosigkeit des allein am Bahnsteig Zurückbleibenden anzukommen vermag.

www.f5komma6.de



Miriam Jonas

bang bang


111111Bei der Arbeit von Miriam Jonas haben wir es mit dem Ideal-fall von ortsspezifischer Kunst zu tun, indem die Künstlerin nicht nur die architektonischen Rahmenbedingungen für ihre Arbeit nutzt, sondern auch auf der inhaltlichen Ebene agiert, die der Raum vorgibt. Dieses kleine, niedliche Vitrinchen ist auch im kunstlosen Alltag das Schaufenster für ein Perücken-fachgeschäft (im firmeneigenen Sprachgebrauch eines “Haarateliers“ – was ja schon wieder verdächtig nach Kunst klingt). Aber etwas ist anders als sonst, etwas ist in Bewegung geraten – an einem Ort, der in seiner Abgeschiedenheit sonst eher den Aktivitätsgrad eines Dornröschens versprüht. Auch wenn wir hier näher an Rapunzel sind: Ein Bild in blond, schwebt hier Frisur pur vor weißem Grund. Eine blonde Langhaarperücke ist zu sehen, die sich auf gespenstische Weise verlebendigt hat, in rhythmische Zuckungen gerät. Ist das außer Rand und Band geratene Werbung? Eine Testapparatur für Kunsthaar? Die mechanisch-maschinellen Bewegungen legen solches nahe. Aber so einer Perücke eignet auch immer etwas menschliches, und wenn wir der wildgewordenen Mähne keinen epileptischen Anfall unterstellen wollen, müssen wir annehmen, dass sie, kopflos wie sie ist, sich selbst schüttelt zu einer für uns unhörbaren Musik. Dazu gibt uns der Titel der Arbeit gleich mehrere Hinweise. Er heißt bang, bang. Das bezieht sich einerseits auf das inzwischen auch im Deutschen eingebürgerte Wort „bangen“ oder „headbangen“ für Heftig-den-Kopf-und-das-Haupthaar-Schütteln zu meist lauter Art von Rockmusik. Andererseits ist es natürlich auch der Titel eines Liedes. Die mittlerweile bekannteste Fassung stammt von Nancy Sinatra (da sie als Filmmusik für Quentin Tarantinos Kill Bill diente; ursprünglich eingesungen wurde es von Cher 1966 und seitdem unzählige Male gecovert, unter anderem von Stevie Wonder und Carla Bruni). Dieses melancholische Lied ist für alles mögliche geeignet – aber bestimmt nicht zum heftigen Herumhüpfen und die Haare fliegen lassen. Es ist in seiner todestrunkenen Düsterkeit der Gegenpol zur möglicherweise als fröhlich und ausgelassen empfundenen Blondmähnenschüttelei. Denn nicht zuletzt steckt das schöne deutsche Wörtchen „bang“ im Titel auch mit drin. Dieser Verselbständigung des unbelebten Dinges „Perücke“, diesem Schopf ohne Kopf, diesem tanzenden Skalp eignet in jedem Falle auch etwas Spukhaftes und Beängstigendes. Die Publikumsreaktionen bestätigten die gezielt inszenierte Ambivalenz von Jonas‘ mechanischer Skulptur. Sie reichten von lautem Gelächter bis zu verstörtem Erschrecken, die Assoziationen fielen entsprechend gewalttätig, sexuell aufgeladen, krankengeschichtlich oder rein kunsthistorisch aus; bang bang erwies sich so, bei all seiner formalen Zurückhaltung, als Aufforderung zum Hexentanz von Tinguely und Sherman mit Hitchcock und Sinatra junior.

www.miriamjonas.de




Ruppe Koselleck

Stilblüten


11Ruppe Koselleck beherzigt das vielbeschworene Motto „Global denken - lokal handeln“. Obwohl sich der Künstler in diesem Fall bescheiden gibt, nicht den global player mimt, sondern nur auf dem europäischen Parkett tanzt. Denn unsere gemeinsame europäische Währung hat der Künstler hier auf dem Kieker. Er verbindet den spezifischen Ort, eine der im Viertel zur Genüge vorhandenen Banken, mit einem sowohl ästhetischen als auch finanzpolitischen Ansinnen. Mit der sogenannten Eurokrise hat das nicht direkt zu tun, die verleiht dem Projekt nur etwas mehr Dringlichkeit; eher geht es um den Wert des bloßen Scheins. Des Künstlers Intention kommen wir am ehesten auf die Spur, wenn wir uns den Titel seiner Arbeit vor Augen führen. Stilblüten heißt sie und lässt uns zunächst an unfreiwillige Komik auf sprachlicher Ebene denken. Koselleck definiert den Begriff jedoch neu und verbindet das Wort „Blüte“ für Falschgeld mit dem Stilbegriff – und meint damit tatsächlich den der kunsthistorischen Epochen, also Romanik, Gotik, Renaissance etc. Denn solcherart sind unsere Euroscheine gestaltet, als graphisch kondensierte Architekturstile. Das ist ziemlich armselig, findet der Künstler, nicht einmal auf konkrete Baudenkmäler konnte man sich europaweit verständigen, von realen Personen ganz zu schweigen. Nein, es ist einmal mehr der typische Brüsseler Kompromiss, der kleinste gemeinsame Nenner, der diese gesichtslose und beinahe geschichtslose Gestaltung hervorgebracht hat. Das letzte Restchen an Individualität findet sich in der Nummer eines jeden Scheins. Und dieses will Koselleck, konsequent wie er ist, auch noch vertreiben: In einem handwerklich eher einfachen Verfahren – zweimal knicken und je dreimal schneiden – aber höchst aufwendigen bürokratischen Akt, mit viel Buchführung, mehrfachem Stempeln und Unterschreiben, wird der ihm angebotene Geldschein von Koselleck, gegen geringe Gebühr, vollends entindividualisiert. Er ist damit im monetären Sinne wertlos geworden, dafür aber von einem massenhaft produzierten, stillosen Papierschnipsel zu einem künstlerisch wertvollen und individuellen Sammlerstück geworden. Der Kunde erhält darüber ein Zertifikat und die aus dem Verkehr gezogenen Geldscheine werden pflichtgemäß der Europäischen Zentralbank gemeldet. Damit wirkt, wie Koselleck es selbst formuliert, seine Aktion auch noch in homöopathischen Dosen deflationär, sprich: Unser Restgeld ist dann mehr wert. Und was will man mehr? Denn, um es mit Woody Allen zu sagen, „Geld ist besser als Armut, wenn auch nur aus finanziellen Gründen.“

www.koselleck.de



Karsten Neumann

ghost dance-a tribute to patti smith


11Karsten Neumann verhandelt in seiner Arbeit die wirklich großen Themen: Spiritualität, Ökologie und Kunst. Was sein ganzes Oeuvre dabei konzeptionell zusammenhält, ist die Idee von bethang. bethang ist ein Kunstwort, zusammengesetzt aus Buchstaben der Städte Nürnberg, Fürth und Erlangen; sozusagen Buchstabensuppe, geschüttelt nicht gerührt. Der Name transportiert bereits die Idee, nämlich die Verschmelzung dieser drei Nachbarstädte zu einer, die sich aber nun nicht auf einen Zusammenschluss der Stadverwaltungen beschränkt, um ein paar Stellen zu sparen – die Idee, die Neumann verfolgt, ist ein radikaler gesellschaftlicher Umbau, der die verschiedensten Aspekte in sich vereint: politisch eher linke (jedenfalls dezidiert antifaschistische), spirituell buddhistische, orthographisch kleingeschriebene und eben ökologische. Die letztgenannten schlagen sich wohl am deutlichsten auch in seiner künstlerischen Praxis nieder, denn eine Maxime seines Handelns ist die selbstauferlegte Doktrin des Direktrecyclings. Das heißt, Karsten Neumann verwendet für seine Kunstwerke ausschließlich Müll, Fundstücke und sonstwie Gebrauchtes. Und zwar aus Plastik. So läßt sich auch der Titel seiner Arbeit ghost dance – a tribute to patti smith besser verstehen. Aus ihm spricht nicht nur die Bewunderung, die der Künstler für die altgediente Rockpoetin und Öko-Aktivistin hegt; er zitiert hier auch ein Lied, das nicht einfach irgendwie spirituell angehaucht ist, sondern wie ein Gebet klingt. Unter anderem heißt es da refrainartig wiederkehrend “we shall live again“. Und darin könnte man sowohl einen Bezug zur Reinkarnation als auch zum Recycling sehen. Aber zurück zu dem, was Karsten Neumann aus seinen Plastikabfällen macht: er setzt sie in anarchischer Freude an der Materialungerechtigkeit zusammen, so dass man immer das Unperfekte, Gebastelte erkennen kann – er klebt nicht etwas fein säuberlich ausgeschnittene Plastikstücke nahtlos aneinander, sondern schraubt einfach zusammen, was ihm passend erscheint. Und was nicht passt – genau – wird passend gemacht. Hatten frühere Kunstströmungen, die Müll und Reste verwendeten, von Dada bis Fluxus, immer mit armseligen, farbarmen und formlosen Materialien zu tun, kann Neumann in unserer Plastikwelt aus dem Vollen schöpfen, was Form- und Farbreichtum angeht. Und so sind seine Arbeiten immer vielfarbig, manchmal auch quietschbunt. Aber bei aller Nonchalance geht der Künstler doch sehr formbewusst zuwerke und organisiert seine Plastikelemente nach rein ästhetischen Kriterien. So dass er hier zur Gestalt eines Beinahe-Kirchenfensters kommt, das, nächtens angestrahlt, das ganze cuba-Foyer in einen riesigen Leuchtkasten verwandelt. Tagsüber verkehren sich die Perspektiven: da wird der Innenraum in buntes Licht getaucht und vollkommen verwandelt. Das heißt beide Ansichten sind gleichermaßen gültig, die Innenschau und der Blick von außen, Tag und Nacht. Aber ganz gleich von welchem Winkel aus man es betrachtet: bethang lässt sich überall errichten. Utopia ist überall.

www.bethang.org




Verena Püschel

Flügel


11An einem seit Jahren leerstehenden ehemaligen Verwaltungs-gebäude ist wahrlich nichts dran. An diesem in Münsters Herwarthstraße erst recht nicht, schon gar nichts schönes. Das fand auch Verena Püschel bei ihren Streifzügen durchs Viertel. Und beschloss, Abhilfe zu schaffen. Aus verschiedenen Gründen ließ sich ihr Vorhaben dann nicht so verwirklichen, wie ursprünglich geplant, aber auch in der realisierten Fassung ist die Idee noch ganz gut zu erkennen: Sie hat diesem traurigen, schäbigen, vor sich hin lotternden Klotz von einem Gebäude Flügel verliehen, das heißt einem Fenster ein Paar Fensterläden angedeihen lassen – und zwar güldene. Durch dieses gezielt gesetzte Schmuckstück wird man im Umkehrschluss womöglich erst der Unansehnlichkeit ringsum gewahr – in erster Linie aber ist dieser Fassadenschmuck ein Kleinod in der Ödnis, eine echte Augenweide in der Klinker-mit-Beton-Trostlosigkeit. Lautet das Motto also nun „Klunker statt Klinker“? Das kann man so nicht sagen, schließlich geht es hier ja nicht um neureiches Rumgeprotze mit echten oder falschen Brillanten. Eher scheinen die golden glänzenden Fensterläden eine Reminiszenz an mittelalterliche Flügelaltäre mit Goldgrund zu sein oder an die monochrom goldenen Tafeln von Yves Klein – jedenfalls eine ästhetische Aufwertung ersten Ranges. Ein Appell, nicht zuletzt an Stadtgestalter und Architekten, mehr Schönheit zu wagen. Wenn man dann noch weiß, dass der Künstlerin absolutes Lieblingsmotiv Vögel sind, bekommt der Titel Flügel der doppelten Fensterläden auch noch einen doppelten Boden: Die geöffneten Flügel darf man sich durchaus als bewegliche und bewegte vorstellen die nicht nur unsere sehnsuchtsvollen Blicke, sondern am Ende vielleicht gar das ganze hässliche Haus flatternd nach oben ziehen in andere, schönere Sphären.

www.verenapueschel.de



Stefan Rosendahl

Thumb Marks


11Stefan Rosendahl bietet uns mit seinen Thumb Marks ein Paradebeispiel für mehrdimensionales künstlerisches Tun. Seine Pylon-Skulpturen weichen von der Norm des gewöhnlichen Verkehrsleitkegels ganz erheblich ab (und natürlich werden alle Freudianer darin mal wieder etwas Phallisches entdecken wollen, aber damit liegen sie ganz phallsch): es handelt sich um eine geradezu surreale Verschmelzung von Straßenpömpel und Daumen. Die Wahrnehmung der Skulptur oszilliert beständig zwischen diesen beiden Polen hin und her, denn der an sich naturalistisch gestaltete Daumen wird durch die grelle Streifenfarbgebung getarnt und umgekehrt der ordentliche Pylon durch die organische Deformation verlebendigt. Das erinnert Kenner und Kunsthistoriker natürlich an die überdimensionalen Daumenskulpturen des französischen Pop-Artisten César und zugleich an das heftig umstrittene Pylon-Projekt von Dennis Oppenheim in Herford – nur dass Stefan Rosendahls Daumenpylonen wesentlich charmanter daherkommen. Darüberhinaus aber hat er für die hbf-Ausstellung mit der Anbringung von gleich vier seiner Skulpturen noch etwas ganz anderes geleistet. Während sonst Baugruben, Fahrbahnverengungen oder sonstige Gefahrenzonen mit solchen Verkehrsleitkegeln markiert werden, hat Rosendahl das ganze Bahnhofsviertel abgesteckt: In einer imaginären Nord-Süd-Achse sind die Daumen übers Viertel verteilt, stets in gleicher Höhe, an drei Hausfassaden und einer Straßenlaterne angebracht, von der Spitze des Servatiiplatzes bis ans Ende der sogenannten „kleinen“ Bahnhofsstraße. Markiert hat er auf diese Weise aber nicht bloß die räumliche Erstreckung des Viertels, sondern auch markante und zwar in den Augen des Künstlers kulturell relevante Orte: Vom Denkmal der Heimatvertriebenen zum Haus der Wohnungslosenhilfe, vom Kulturzentrum cuba bis zum Theaterpädagogischen Zentrum. Damit regt er nicht nur zu weiterem Nachdenken über die Wahrnehmung dieses Stadtteils an – sondern, darüberhinaus, vor allem über unseren Begriff von Kultur.

www.stefan-rosendahl.de



Eilike Schlenkhoff

Von hier


11zufällig gewählte Stadtlandschaftsausschnitt sich zum Bild zusammenfügt. Wobei aber gerade die dreidimensionale Präsentationsform die Wandelbarkeit des Bildes, nicht zuletzt abhängig von Tageszeit und künstlicher Beleuchtung, augenfällig macht. Das Ganze entbehrt nicht einer gewissen puppenstubenhaften Niedlichkeit. Es ist in seiner schönen Schäbigkeit aber auch ein sichtbar handgemachter Gegenentwurf zu den geleckten Modellen der Stadtplaner in ihrer stylischen Sterilität. Statt himmelstürmender Hochhausphantasien zeigt uns Eilike Schlenkhoff lieber die verwinkelte Hinterhofrealität und den ganz besonderen, verschrobenen Charme von Dachlandschaften. Das müssen gar nicht die vielgefilmten Dächer von New York oder Paris sein, der Blick muß nicht über die Dächer von Nizza schweifen, es tun auch die von Wuppertal. Entgegen der offiziellen Selbstdarstellung der Westfalenmetropole, die meist nur aus dem Prinzipalmarkt besteht, gibt es auch in Münster exakt solche Ecken und Winkel samt zusammengezimmertem Bretterverhau und Antennenwald. Genau das macht die Arbeit im Kontext der Ausstellung so reizvoll: Unser Bild von der Stadt am Modell überprüfen zu können. Wunsch und Wirklichkeit in Beziehung zueinander zu setzen, und das Pittoreske gerade an abgelegener, etwas weniger hochglanzprospektgeeigneter Stelle zu entdecken. Ursprünglich kommt Eilike Schlenkhoff von der Malerei her. Beschloss dann aber, dass sie ihre Vorstellungen am besten mit den Mitteln der Photographie umsetzen konnte – allerdings nicht, indem sie Vorhandenes photographiert, auch nicht indem sie etwas in der wirklichen Welt inszeniert, sondern indem sie zunächst ihre eigene Realität erschafft, ein Modell baut. Entsprechend nennt die Künstlerin ihre Arbeiten auch „gebaute Bilder“. Die wurden bislang stets im photographierten Zustand als gerahmtes Bild an der Wand präsentiert. Für die hbf-Ausstellung gab es nun eine Premiere: Diesmal zeigte die Künstlerin das passgenau auf eine erkerartige Vitrine zugeschnittene Modell in 3 D!
So, in Originalgröße und ohne weiteren medialen Zwischenschritt kann man die Materialien, mit denen sie arbeitet, eine Spur besser erkennen: Pappe und Papier, Fimo und Farbe. Der malerische Ansatz, das bildliche Denken bleibt dennoch deutlich sichtbar. Der Künstlerin geht es nicht um exakte Verdoppelung des Vorgefundenen, sondern um dessen malerische Neugestaltung. Wie nuanciert dieser wolkige Himmel trotz seines Grau in Grau daherkommt; welcher Farbreichtum in altem Ziegelmauerwerk und verwitterten Dachpfannen steckt! Wie es der Titel der Arbeit Von hier andeutet, gibt es auch einen optimalen bzw. mehrere sehr gut geeignete Blickpunkte, von denen aus der scheinbar zufällig gewählte Stadtlandschaftsausschnitt sich zum Bild zusammenfügt.
Wobei aber gerade die dreidimensionale Präsentationsform die Wandelbarkeit des Bildes, nicht zuletzt abhängig von Tageszeit und künstlicher Beleuchtung, augenfällig macht. Das Ganze entbehrt nicht einer gewissen puppenstubenhaften Niedlichkeit. Es ist in seiner schönen Schäbigkeit aber auch ein sichtbar handgemachter Gegenentwurf zu den geleckten Modellen der Stadtplaner in ihrer stylischen Sterilität. Statt himmelstürmender Hochhausphantasien zeigt uns Eilike Schlenkhoff lieber die verwinkelte Hinterhofrealität und den ganz besonderen, verschrobenen Charme von Dachlandschaften. Das müssen gar nicht die vielgefilmten Dächer von New York oder Paris sein, der Blick muß nicht über die Dächer von Nizza schweifen, es tun auch die von Wuppertal. Entgegen der offiziellen Selbstdarstellung der Westfalenmetropole, die meist nur aus dem Prinzipalmarkt besteht, gibt es auch in Münster exakt solche Ecken und Winkel samt zusammengezimmertem Bretterverhau und Antennenwald. Genau das macht die Arbeit im Kontext der Ausstellung so reizvoll: Unser Bild von der Stadt am Modell überprüfen zu können. Wunsch und Wirklichkeit in Beziehung zueinander zu setzen, und das Pittoreske gerade an abgelegener, etwas weniger hochglanzprospektgeeigneter Stelle zu entdecken.

www.eilike.de




Janine Tobüren

Sculpture No. 7 | You instinctively like what you can‘t do


11Zunächst einmal sehen wir, schwarz auf weiß, eine hervorragend zu den Maßen dieser Tunnelvitrine passende Skulptur: Abstrakt, aus mehreren senkrechten schwarzen Balken und so etwas wie einer Rahmenkonstruktion bestehend. Die Balken sind intensiv schwarz und von merkwürdig unbestimmbarer Materialität: Am ehesten erinnern sie an verbranntes, verkohltes Holz - was der Skulptur bei aller Exaktheit etwas geradezu Ruinöses verleiht. Tatsächlich handelt es sich um Holzbalken, die mit einer dicken Schicht zäher, schwarzer Acrylpaste überzogen sind, also eigentlich nur einer etwas angedickten Art von Farbe. Damit könnte es sein Bewenden haben und wir uns an der schön beleuchteten und klug plazierten Skulptur erfreuen, die diese toteste aller Bahnhofsecken 11
ästhetisch reanimiert. Aber der pastose Farbauftrag ist ein
deutlicher Hinweis darauf, dass es der Künstlerin auch um malerische Qualitäten geht in ihrer Arbeit. In Wahrheit handelt es sich nämlich bei Sculpture No.7 um die maßstabsgetreue Umsetzung eines Gemäldes, und zwar des Painting No. 7 von Franz Kline aus dem Jahre 1952. Janine Tobüren ist fasziniert von den Werken jenes Malers und versucht dessen gestischen Pinselstrichen nachzuspüren. Aber eben nicht, indem sie selber malt, sondern indem sie die zweidimensionalen Gemälde räumlich interpretiert und dreidimensional umsetzt. Das heißt, es gibt einen Blickwinkel, aus dem die Ansicht des originalen Gemäldes und die der Skulptur genau deckungsgleich sind – alle anderen möglichen Blickwinkel sind dann die von der Künstlerin neu eröffneten Sichtweisen. Dies Art der Anverwandlung geschieht offen und nicht ohne dem Maler die Reverenz zu erweisen. Eigentlich ist es ja ein Ding der Unmöglichkeit, in einer Ausstellung mit Kunst im öffentlichen Raum Malerei zu präsentieren. Deswegen ist es um so raffinierter, dass Janine Tobüren nicht nur diese Vitrine, sondern ein ganzes Stück Stadtraum in ihrer Arbeit integriert hat, indem sie eine Blickachse zum Fenster ihres Ateliers konstruiert. Während der Ausstellung hat sie es selbst zu einer Art Vitrine oder Leuchtkasten umfunktioniert: An den Fensterscheiben steht, schwarz auf weiß, ein Zitat des amerikanischen Malers zu lesen, das sich wie ein Kommentar auf Tobürens Arbeit ausnimmt: „You instinctively like what you can‘t do.“

www.janinetobueren.de




Timm Ulrichs

Waschprogramm



11Timm Ulrichs hat mit seinem Waschprogramm ein neues Genre erfunden, anstelle des Open-Air- das Under-Water- Kino. Hier wird die Autowaschanlage zum Ort des künstlerischen Geschehens – und der Begriff einer ortsspezifischen Kunst auf die Spitze getrieben. Etwas Museums-ferneres als eine Autowaschanlage kann man sich kaum vorstellen. Und wir sind mittendrin. Timm Ulrichs jagt als seinen und unseren Stellvertreter das technische Auge einer Kamera durch die Waschanlage. Und zwar, anders als man das kennt, wenn man im Auto sitzt und durch die Waschanlage fährt, ganz direkt, ohne schützende Blech- und Glashülle.11
In dieser unmittelbaren Perspektive entfaltet sich das ganze Potential der maschinellen Bedrohung, wenn die rotierenden Bürsten in Blau und Gelb auf uns zu- und über uns hinwegwalzen, wenn sich die sprühenden, wirbelnden Wassermassen von allen Seiten über uns ergießen; Fontänen schießen wie Blitze, es scheint Funken zu regnen. Kaum glaubt man sich dieser Sintflut entronnen, kommen die Bürsten hinterrücks wieder, bevor das Ganze im Finale abgeblasen, also besänftigend trockengepustet wird.Der schnöde 11
Waschvorgang entfaltet sich vor unseren Augen also als visuell überraschender, spannender Experimentalfilm und gewinnt zugleich eine geradezu elementare Wucht. Selbst in der medialen Vermittlung fühlen wir uns als unmittelbare Zeugen des Geschehens, es ist eine Ortsbeobachtung maximaler Intensität und ein filmisches Eintauchen in die „Handlung“ par excellence. Nur durch die Verwendung eines speziellen wasserdichten Gehäuses war die Kamera vor der sicheren Zerstörung gefeit. Dennoch bleibt dieses Beobachten um jeden Preis, das erst kurz vor der Selbstzerstörung halt macht, keine rein mechanisch-maschinelle Handlung, sondern eine menschliche Haltung, die eines unverbesserlichen Aufklärers und Entlarvers, der den Dingen auf den Grund geht. Im Oeuvre von Timm Ulrichs gibt es nicht von ungefähr mehrere solcher passiven, leidenden Kameras, solche die eingegipst und wieder freigeschlagen werden, Kameras die verschluckt werden und die lange Reise durch den Körper des Künstlers antreten und sogar ein direktes Gegenstück zum Waschprogramm hier, Das brechende Auge (Eine Kamera filmt ihren eigenen Tod) von 1973/1989. Hier filmt die Kamera, wie eine allmählich näherkommende Feuersbrunst sie allmählich zum Verlöschen bringt, bis zum technischen Tod. So weit geht das Waschprogramm nicht; die Kamera überlebt in ihrem schützenden Gehäuse. Trotzdem bleibt das optische Erlebnis elementar. Das ist Kunst, die sich gewaschen hat


Timm Ulrichs: wikipedia



Texte: Stephan Trescher