2011
10 Künstler – 10 Tage – 10 Orte im Bahnhofsviertel Münster
Mark Formanek | Anja Jensen | Miriam Jonas | Ruppe Koselleck | Karsten Neumann | Verena Püschel
Stefan Rosendahl | Eilike Schlenkhoff | Janine Tobüren | Timm Ulrichs
Standard Time

Bei Mark Formaneks Arbeit Standard Time wird an der Uhr gedreht. Genauer: es wird an ihr geschraubt. Aber nicht etwa, wie
die Bauarbeiterkluft der Akteure im ersten Moment vielleicht
suggerieren könnte, um etwas zu reparieren, nein, hier sind eine
ganze Menge Menschen damit befasst, eine Uhr – ja was eigentlich?
Zu bauen, am Laufen zu halten, darzustellen? Mark Formanek
nennt seine Arbeit im Untertitel „eine Skulptur über die Zeit“.
Das ist schön gesagt, denn es lenkt unsere Aufmerksamkeit auf
den Umstand, dass hier aus einfachen Bestandteilen, einem großen
Gerüst und zahlreichen Holzlatten, mit Leitern, Schraubzwingen
und Akkuschraubern eine Digitalanzeige überlebensgroß und plastisch gebaut wird.
www.standard-time.com
Are & Nele

Die Werbung in unseren Städten und auf Bahnhöfen ist in
aller Regel nichts sonderlich erfreuliches. Wie kann man
dem begegnen außer mit Ignoranz, also der Haltung des
„Augen zu und durch“? Ich plädiere für die Methode, die
Anja Jensen anwendet, die poetische Subversion.
Die Künstlerin bedient sich raffinierterweise der in Bahnhöfen
ganz üblichen Leuchtdisplays und bestückt sie
mit ihren ganz eigenen photographischen Motiven. Das
heißt, dem eilig durch den Tunnel zum Bahnsteig rennenden
Reisenden mag es völlig entgehen, dass er hier
an künstlerisch Wertvollem vorbeikommt. Allen anderen
wird auch nicht lauthals entgegen geschrieen “Hallo, hier
gibt‘s Kunst“. Es ist eher das Fehlen von Schrift, von einer
plumpen und direkten Botschaft, das unterschwellig irritiert,
das an diesem Ort so unerwartete Leise und eben
Poetische. Die Künstlerin hat im Fußgängertunnel zwei nächtliche
Motive einander gegenübergestellt: auf der einen Wand
ein Mädchen, Nele, das vor einem riesenhaften Feuer
steht, dieser bedrohlichen Elementargewalt aber den
Rücken zukehrt und uns selbstbewußt, fast ein bißchen
aufmüpfig anblickt. Fast so, als könnte sie das Feuer gelegt
haben. Aber es geht Anja Jensen nicht um das Anekdotische,
eher um das fast schon Symbolhafte, jedenfalls
Allgemeingültige, das sich auf der emotionalen Ebene
unmittelbar vermittelt: Ein Gefühl der trotzig verborgenen
Einsamkeit des Teenagers und der Schutzlosigkeit
gegenüber den Gewalten der Natur.
Viel schlimmer noch als Nele ergeht es ihrem Gegenüber
Are; der steht mitten im Wasser, viel dunklen Himmel
über sich, nur weit entfernt am Horizont ist ein Küstenstrich
zu erkennen, und keine Menschenseele weit und
breit. In seinem Gesicht spiegeln sich die Verlorenheit,
der Eindruck der Verlassenheit und des Ausgeliefertseins.
Die Melancholie scheint begründet angesichts der
Wassermassen ringsum.
Natürlich ist das alles inszeniert; die Künstlerin hat ein
Gegensatzpaar par excellence konstruiert, die Elemente
als Gefährdungspotential, hier Wasser, da Feuer, hier
Junge, da Mädchen. Are und Nele stehen stellvertretend
für alle Heranwachsenden, mit all ihrem Zukunftspotential,
all ihren Ängsten, in all ihrer Schutzbedürftigkeit – und
durch die Namensgebung, die ein bißchen nach Adam und
Eva klingt, dann vielleicht auch für die ganze Menschheit.
Und was hat das Ganze mit dem Bahnhof zu tun?
In Wahrheit geht es der Künstlerin vor allem um die Melancholie.
Eine dem Bahnhof sehr angemessene Stimmung,
wo es so viele Abschiede gibt und wo alle Werbung
der Welt nicht gegen die Trostlosigkeit des allein am
Bahnsteig Zurückbleibenden anzukommen vermag.
www.f5komma6.de
bang bang



Bei der Arbeit von Miriam Jonas haben wir es mit dem Ideal-fall von ortsspezifischer Kunst zu tun, indem die Künstlerin nicht nur
die architektonischen Rahmenbedingungen für ihre Arbeit nutzt,
sondern auch auf der inhaltlichen Ebene agiert, die der Raum
vorgibt. Dieses kleine, niedliche Vitrinchen ist auch im kunstlosen
Alltag das Schaufenster für ein Perücken-fachgeschäft (im firmeneigenen
Sprachgebrauch eines “Haarateliers“ – was ja schon
wieder verdächtig nach Kunst klingt). Aber etwas ist anders als
sonst, etwas ist in Bewegung geraten – an einem Ort, der in seiner
Abgeschiedenheit sonst eher den Aktivitätsgrad eines Dornröschens
versprüht. Auch wenn wir hier näher an Rapunzel sind: Ein
Bild in blond, schwebt hier Frisur pur vor weißem Grund.
Eine blonde Langhaarperücke ist zu sehen, die sich auf gespenstische
Weise verlebendigt hat, in rhythmische Zuckungen gerät. Ist
das außer Rand und Band geratene Werbung? Eine Testapparatur
für Kunsthaar? Die mechanisch-maschinellen Bewegungen legen
solches nahe. Aber so einer Perücke eignet auch immer etwas
menschliches, und wenn wir der wildgewordenen Mähne keinen
epileptischen Anfall unterstellen wollen, müssen wir annehmen,
dass sie, kopflos wie sie ist, sich selbst schüttelt zu einer für uns
unhörbaren Musik.
Dazu gibt uns der Titel der Arbeit gleich mehrere Hinweise. Er
heißt bang, bang. Das bezieht sich einerseits auf das inzwischen
auch im Deutschen eingebürgerte Wort „bangen“ oder „headbangen“
für Heftig-den-Kopf-und-das-Haupthaar-Schütteln zu meist
lauter Art von Rockmusik.
Andererseits ist es natürlich auch der Titel eines Liedes. Die mittlerweile
bekannteste Fassung stammt von Nancy Sinatra (da sie
als Filmmusik für Quentin Tarantinos Kill Bill diente; ursprünglich
eingesungen wurde es von Cher 1966 und seitdem unzählige
Male gecovert, unter anderem von Stevie Wonder und Carla Bruni).
Dieses melancholische Lied ist für alles mögliche geeignet – aber
bestimmt nicht zum heftigen Herumhüpfen und die Haare fliegen
lassen. Es ist in seiner todestrunkenen Düsterkeit der Gegenpol
zur möglicherweise als fröhlich und ausgelassen empfundenen
Blondmähnenschüttelei.
Denn nicht zuletzt steckt das schöne deutsche Wörtchen „bang“ im
Titel auch mit drin. Dieser Verselbständigung des unbelebten Dinges
„Perücke“, diesem Schopf ohne Kopf, diesem tanzenden Skalp
eignet in jedem Falle auch etwas Spukhaftes und Beängstigendes.
Die Publikumsreaktionen bestätigten die gezielt inszenierte Ambivalenz
von Jonas‘ mechanischer Skulptur. Sie reichten von lautem
Gelächter bis zu verstörtem Erschrecken, die Assoziationen fielen
entsprechend gewalttätig, sexuell aufgeladen, krankengeschichtlich
oder rein kunsthistorisch aus; bang bang erwies sich so, bei all
seiner formalen Zurückhaltung, als Aufforderung zum Hexentanz
von Tinguely und Sherman mit Hitchcock und Sinatra junior.
www.miriamjonas.de
Stilblüten

Ruppe Koselleck beherzigt das vielbeschworene Motto „Global denken - lokal handeln“. Obwohl sich der Künstler in diesem Fall
bescheiden gibt, nicht den global player mimt, sondern nur auf dem
europäischen Parkett tanzt.
Denn unsere gemeinsame europäische Währung hat der Künstler
hier auf dem Kieker. Er verbindet den spezifischen Ort, eine der
im Viertel zur Genüge vorhandenen Banken, mit einem sowohl
ästhetischen als auch finanzpolitischen Ansinnen. Mit der sogenannten
Eurokrise hat das nicht direkt zu tun, die verleiht dem
Projekt nur etwas mehr Dringlichkeit; eher geht es um den Wert
des bloßen Scheins.
Des Künstlers Intention kommen wir am ehesten auf die Spur,
wenn wir uns den Titel seiner Arbeit vor Augen führen. Stilblüten
heißt sie und lässt uns zunächst an unfreiwillige Komik auf sprachlicher
Ebene denken. Koselleck definiert den Begriff jedoch neu
und verbindet das Wort „Blüte“ für Falschgeld mit dem Stilbegriff
– und meint damit tatsächlich den der kunsthistorischen Epochen,
also Romanik, Gotik, Renaissance etc.
Denn solcherart sind unsere Euroscheine gestaltet, als graphisch
kondensierte Architekturstile. Das ist ziemlich armselig, findet der
Künstler, nicht einmal auf konkrete Baudenkmäler konnte man sich
europaweit verständigen, von realen Personen ganz zu schweigen.
Nein, es ist einmal mehr der typische Brüsseler Kompromiss, der
kleinste gemeinsame Nenner, der diese gesichtslose und beinahe
geschichtslose Gestaltung hervorgebracht hat. Das letzte Restchen
an Individualität findet sich in der Nummer eines jeden Scheins.
Und dieses will Koselleck, konsequent wie er ist, auch noch vertreiben:
In einem handwerklich eher einfachen Verfahren – zweimal
knicken und je dreimal schneiden – aber höchst aufwendigen
bürokratischen Akt, mit viel Buchführung, mehrfachem Stempeln
und Unterschreiben, wird der ihm angebotene Geldschein von
Koselleck, gegen geringe Gebühr, vollends entindividualisiert. Er
ist damit im monetären Sinne wertlos geworden, dafür aber von
einem massenhaft produzierten, stillosen Papierschnipsel zu
einem künstlerisch wertvollen und individuellen Sammlerstück
geworden. Der Kunde erhält darüber ein Zertifikat und die aus
dem Verkehr gezogenen Geldscheine werden pflichtgemäß der
Europäischen Zentralbank gemeldet.
Damit wirkt, wie Koselleck es selbst formuliert, seine Aktion auch
noch in homöopathischen Dosen deflationär, sprich: Unser Restgeld
ist dann mehr wert. Und was will man mehr? Denn, um es mit
Woody Allen zu sagen, „Geld ist besser als Armut, wenn auch nur
aus finanziellen Gründen.“
www.koselleck.de
ghost dance-a tribute to patti smith

Karsten Neumann verhandelt in seiner Arbeit die wirklich großen Themen:
Spiritualität, Ökologie und Kunst. Was sein ganzes Oeuvre dabei konzeptionell
zusammenhält, ist die Idee von bethang. bethang ist ein Kunstwort, zusammengesetzt
aus Buchstaben der Städte Nürnberg, Fürth und Erlangen; sozusagen
Buchstabensuppe, geschüttelt nicht gerührt. Der Name transportiert
bereits die Idee, nämlich die Verschmelzung dieser drei Nachbarstädte zu
einer, die sich aber nun nicht auf einen Zusammenschluss der Stadverwaltungen
beschränkt, um ein paar Stellen zu sparen – die Idee, die Neumann
verfolgt, ist ein radikaler gesellschaftlicher Umbau, der die verschiedensten
Aspekte in sich vereint: politisch eher linke (jedenfalls dezidiert antifaschistische), spirituell buddhistische, orthographisch kleingeschriebene und eben ökologische. Die letztgenannten schlagen sich wohl am deutlichsten auch
in seiner künstlerischen Praxis nieder, denn eine Maxime seines Handelns
ist die selbstauferlegte Doktrin des Direktrecyclings. Das heißt, Karsten
Neumann verwendet für seine Kunstwerke ausschließlich Müll, Fundstücke
und sonstwie Gebrauchtes. Und zwar aus Plastik.
So läßt sich auch der Titel seiner Arbeit ghost dance – a tribute to patti
smith besser verstehen. Aus ihm spricht nicht nur die Bewunderung, die
der Künstler für die altgediente Rockpoetin und Öko-Aktivistin hegt; er
zitiert hier auch ein Lied, das nicht einfach irgendwie spirituell angehaucht
ist, sondern wie ein Gebet klingt. Unter anderem heißt es da refrainartig
wiederkehrend “we shall live again“. Und darin könnte man sowohl einen
Bezug zur Reinkarnation als auch zum Recycling sehen.
Aber zurück zu dem, was Karsten Neumann aus seinen Plastikabfällen macht:
er setzt sie in anarchischer Freude an der Materialungerechtigkeit zusammen,
so dass man immer das Unperfekte, Gebastelte erkennen kann – er klebt
nicht etwas fein säuberlich ausgeschnittene Plastikstücke nahtlos aneinander,
sondern schraubt einfach zusammen, was ihm passend erscheint. Und was
nicht passt – genau – wird passend gemacht.
Hatten frühere Kunstströmungen, die Müll und Reste verwendeten, von
Dada bis Fluxus, immer mit armseligen, farbarmen und formlosen Materialien
zu tun, kann Neumann in unserer Plastikwelt aus dem Vollen schöpfen,
was Form- und Farbreichtum angeht. Und so sind seine Arbeiten immer
vielfarbig, manchmal auch quietschbunt. Aber bei aller Nonchalance geht
der Künstler doch sehr formbewusst zuwerke und organisiert seine Plastikelemente
nach rein ästhetischen Kriterien.
So dass er hier zur Gestalt eines Beinahe-Kirchenfensters kommt, das,
nächtens angestrahlt, das ganze cuba-Foyer in einen riesigen Leuchtkasten
verwandelt. Tagsüber verkehren sich die Perspektiven: da wird der Innenraum
in buntes Licht getaucht und vollkommen verwandelt. Das heißt beide
Ansichten sind gleichermaßen gültig, die Innenschau und der Blick von
außen, Tag und Nacht. Aber ganz gleich von welchem Winkel aus man es
betrachtet: bethang lässt sich überall errichten. Utopia ist überall.
www.bethang.org
Flügel

An einem seit Jahren leerstehenden ehemaligen Verwaltungs-gebäude
ist wahrlich nichts dran. An diesem in Münsters Herwarthstraße
erst recht nicht, schon gar nichts schönes. Das fand auch
Verena Püschel bei ihren Streifzügen durchs Viertel. Und beschloss,
Abhilfe zu schaffen.
Aus verschiedenen Gründen ließ sich ihr Vorhaben dann nicht so
verwirklichen, wie ursprünglich geplant, aber auch in der realisierten
Fassung ist die Idee noch ganz gut zu erkennen: Sie hat
diesem traurigen, schäbigen, vor sich hin lotternden Klotz von
einem Gebäude Flügel verliehen, das heißt einem Fenster ein Paar
Fensterläden angedeihen lassen – und zwar güldene. Durch dieses
gezielt gesetzte Schmuckstück wird man im Umkehrschluss
womöglich erst der Unansehnlichkeit ringsum gewahr – in erster
Linie aber ist dieser Fassadenschmuck ein Kleinod in der Ödnis,
eine echte Augenweide in der Klinker-mit-Beton-Trostlosigkeit.
Lautet das Motto also nun „Klunker statt Klinker“? Das kann man
so nicht sagen, schließlich geht es hier ja nicht um neureiches
Rumgeprotze mit echten oder falschen Brillanten. Eher scheinen
die golden glänzenden Fensterläden eine Reminiszenz an mittelalterliche
Flügelaltäre mit Goldgrund zu sein oder an die monochrom
goldenen Tafeln von Yves Klein – jedenfalls eine ästhetische
Aufwertung ersten Ranges. Ein Appell, nicht zuletzt an Stadtgestalter
und Architekten, mehr Schönheit zu wagen.
Wenn man dann noch weiß, dass der Künstlerin absolutes Lieblingsmotiv
Vögel sind, bekommt der Titel Flügel der doppelten
Fensterläden auch noch einen doppelten Boden: Die geöffneten
Flügel darf man sich durchaus als bewegliche und bewegte
vorstellen die nicht nur unsere sehnsuchtsvollen Blicke, sondern
am Ende vielleicht gar das ganze hässliche Haus flatternd nach
oben ziehen in andere, schönere Sphären.
www.verenapueschel.de
Thumb Marks

Stefan Rosendahl bietet uns mit seinen Thumb Marks ein Paradebeispiel für
mehrdimensionales künstlerisches Tun. Seine Pylon-Skulpturen weichen
von der Norm des gewöhnlichen Verkehrsleitkegels ganz erheblich ab (und
natürlich werden alle Freudianer darin mal wieder etwas Phallisches entdecken
wollen, aber damit liegen sie ganz phallsch): es handelt sich um eine
geradezu surreale Verschmelzung von Straßenpömpel und Daumen. Die
Wahrnehmung der Skulptur oszilliert beständig zwischen diesen beiden
Polen hin und her, denn der an sich naturalistisch gestaltete Daumen wird
durch die grelle Streifenfarbgebung getarnt und umgekehrt der ordentliche
Pylon durch die organische Deformation verlebendigt.
Das erinnert Kenner und Kunsthistoriker natürlich an die überdimensionalen
Daumenskulpturen des französischen Pop-Artisten César und zugleich an das
heftig umstrittene Pylon-Projekt von Dennis Oppenheim in Herford – nur dass
Stefan Rosendahls Daumenpylonen wesentlich charmanter daherkommen.
Darüberhinaus aber hat er für die hbf-Ausstellung mit der Anbringung von
gleich vier seiner Skulpturen noch etwas ganz anderes geleistet. Während
sonst Baugruben, Fahrbahnverengungen oder sonstige Gefahrenzonen mit
solchen Verkehrsleitkegeln markiert werden, hat Rosendahl das ganze Bahnhofsviertel
abgesteckt: In einer imaginären Nord-Süd-Achse sind die Daumen
übers Viertel verteilt, stets in gleicher Höhe, an drei Hausfassaden und
einer Straßenlaterne angebracht, von der Spitze des Servatiiplatzes bis ans
Ende der sogenannten „kleinen“ Bahnhofsstraße. Markiert hat er auf diese
Weise aber nicht bloß die räumliche Erstreckung des Viertels, sondern auch
markante und zwar in den Augen des Künstlers kulturell relevante Orte: Vom
Denkmal der Heimatvertriebenen zum Haus der Wohnungslosenhilfe, vom
Kulturzentrum cuba bis zum Theaterpädagogischen Zentrum. Damit regt er
nicht nur zu weiterem Nachdenken über die Wahrnehmung dieses Stadtteils
an – sondern, darüberhinaus, vor allem über unseren Begriff von Kultur.
www.stefan-rosendahl.de
Von hier

zufällig gewählte Stadtlandschaftsausschnitt sich zum Bild zusammenfügt.
Wobei aber gerade die dreidimensionale Präsentationsform die Wandelbarkeit
des Bildes, nicht zuletzt abhängig von Tageszeit und künstlicher
Beleuchtung, augenfällig macht.
Das Ganze entbehrt nicht einer gewissen puppenstubenhaften Niedlichkeit.
Es ist in seiner schönen Schäbigkeit aber auch ein sichtbar handgemachter
Gegenentwurf zu den geleckten Modellen der Stadtplaner in
ihrer stylischen Sterilität. Statt himmelstürmender Hochhausphantasien
zeigt uns Eilike Schlenkhoff lieber die verwinkelte Hinterhofrealität und
den ganz besonderen, verschrobenen Charme von Dachlandschaften. Das
müssen gar nicht die vielgefilmten Dächer von New York oder Paris sein,
der Blick muß nicht über die Dächer von Nizza schweifen, es tun auch die
von Wuppertal. Entgegen der offiziellen Selbstdarstellung der Westfalenmetropole,
die meist nur aus dem Prinzipalmarkt besteht, gibt es auch in
Münster exakt solche Ecken und Winkel samt zusammengezimmertem
Bretterverhau und Antennenwald. Genau das macht die Arbeit im Kontext
der Ausstellung so reizvoll: Unser Bild von der Stadt am Modell überprüfen
zu können. Wunsch und Wirklichkeit in Beziehung zueinander zu setzen,
und das Pittoreske gerade an abgelegener, etwas weniger hochglanzprospektgeeigneter
Stelle zu entdecken.
Ursprünglich kommt Eilike Schlenkhoff von der Malerei her. Beschloss dann
aber, dass sie ihre Vorstellungen am besten mit den Mitteln der Photographie
umsetzen konnte – allerdings nicht, indem sie Vorhandenes photographiert,
auch nicht indem sie etwas in der wirklichen Welt inszeniert, sondern indem
sie zunächst ihre eigene Realität erschafft, ein Modell baut. Entsprechend
nennt die Künstlerin ihre Arbeiten auch „gebaute Bilder“.
Die wurden bislang stets im photographierten Zustand als gerahmtes Bild
an der Wand präsentiert. Für die hbf-Ausstellung gab es nun eine Premiere:
Diesmal zeigte die Künstlerin das passgenau auf eine erkerartige Vitrine
zugeschnittene Modell in 3 D!
So, in Originalgröße und ohne weiteren medialen Zwischenschritt kann man
die Materialien, mit denen sie arbeitet, eine Spur besser erkennen: Pappe und
Papier, Fimo und Farbe. Der malerische Ansatz, das bildliche Denken bleibt
dennoch deutlich sichtbar. Der Künstlerin geht es nicht um exakte Verdoppelung
des Vorgefundenen, sondern um dessen malerische Neugestaltung. Wie nuanciert
dieser wolkige Himmel trotz seines Grau in Grau daherkommt; welcher
Farbreichtum in altem Ziegelmauerwerk und verwitterten Dachpfannen steckt!
Wie es der Titel der Arbeit Von hier andeutet, gibt es auch einen optimalen
bzw. mehrere sehr gut geeignete Blickpunkte, von denen aus der scheinbar zufällig gewählte Stadtlandschaftsausschnitt sich zum Bild zusammenfügt.
Wobei aber gerade die dreidimensionale Präsentationsform die Wandelbarkeit
des Bildes, nicht zuletzt abhängig von Tageszeit und künstlicher
Beleuchtung, augenfällig macht.
Das Ganze entbehrt nicht einer gewissen puppenstubenhaften Niedlichkeit.
Es ist in seiner schönen Schäbigkeit aber auch ein sichtbar handgemachter
Gegenentwurf zu den geleckten Modellen der Stadtplaner in
ihrer stylischen Sterilität. Statt himmelstürmender Hochhausphantasien
zeigt uns Eilike Schlenkhoff lieber die verwinkelte Hinterhofrealität und
den ganz besonderen, verschrobenen Charme von Dachlandschaften. Das
müssen gar nicht die vielgefilmten Dächer von New York oder Paris sein,
der Blick muß nicht über die Dächer von Nizza schweifen, es tun auch die
von Wuppertal. Entgegen der offiziellen Selbstdarstellung der Westfalenmetropole,
die meist nur aus dem Prinzipalmarkt besteht, gibt es auch in
Münster exakt solche Ecken und Winkel samt zusammengezimmertem
Bretterverhau und Antennenwald. Genau das macht die Arbeit im Kontext
der Ausstellung so reizvoll: Unser Bild von der Stadt am Modell überprüfen
zu können. Wunsch und Wirklichkeit in Beziehung zueinander zu setzen,
und das Pittoreske gerade an abgelegener, etwas weniger hochglanzprospektgeeigneter
Stelle zu entdecken.
www.eilike.de
Sculpture No. 7 | You instinctively like what you can‘t do

Zunächst einmal sehen wir, schwarz auf weiß, eine hervorragend
zu den Maßen dieser Tunnelvitrine passende Skulptur: Abstrakt,
aus mehreren senkrechten schwarzen Balken und so etwas wie
einer Rahmenkonstruktion bestehend. Die Balken sind intensiv
schwarz und von merkwürdig unbestimmbarer Materialität: Am
ehesten erinnern sie an verbranntes, verkohltes Holz - was der
Skulptur bei aller Exaktheit etwas geradezu Ruinöses verleiht.
Tatsächlich handelt es sich um Holzbalken, die mit einer dicken
Schicht zäher, schwarzer Acrylpaste überzogen sind, also eigentlich
nur einer etwas angedickten Art von Farbe.
Damit könnte es sein Bewenden haben und wir uns an der schön
beleuchteten und klug plazierten Skulptur erfreuen, die diese
toteste aller Bahnhofsecken

ästhetisch reanimiert.
Aber der pastose Farbauftrag ist ein
deutlicher Hinweis darauf,
dass es der Künstlerin auch um malerische Qualitäten geht in ihrer
Arbeit. In Wahrheit handelt es sich nämlich bei Sculpture No.7 um
die maßstabsgetreue Umsetzung eines Gemäldes, und zwar des
Painting No. 7 von Franz Kline aus dem Jahre 1952. Janine Tobüren
ist fasziniert von den Werken jenes Malers und versucht dessen
gestischen Pinselstrichen nachzuspüren. Aber eben nicht, indem
sie selber malt, sondern indem sie die zweidimensionalen Gemälde
räumlich interpretiert und dreidimensional umsetzt.
Das heißt, es gibt einen Blickwinkel, aus dem die Ansicht des
originalen Gemäldes und die der Skulptur genau deckungsgleich
sind – alle anderen möglichen Blickwinkel sind dann die von der
Künstlerin neu eröffneten Sichtweisen.
Dies Art der Anverwandlung geschieht offen und nicht ohne dem
Maler die Reverenz zu erweisen. Eigentlich ist es ja ein Ding der
Unmöglichkeit, in einer Ausstellung mit Kunst im öffentlichen
Raum Malerei zu präsentieren. Deswegen ist es um so raffinierter,
dass Janine Tobüren nicht nur diese Vitrine, sondern ein
ganzes Stück Stadtraum in ihrer Arbeit integriert hat, indem sie
eine Blickachse zum Fenster ihres Ateliers konstruiert. Während
der Ausstellung hat sie es selbst zu einer Art Vitrine oder Leuchtkasten
umfunktioniert: An den Fensterscheiben steht, schwarz
auf weiß, ein Zitat des amerikanischen Malers zu lesen, das sich
wie ein Kommentar auf Tobürens Arbeit ausnimmt: „You instinctively
like what you can‘t do.“
www.janinetobueren.de
Waschprogramm

Timm Ulrichs hat mit seinem Waschprogramm ein neues
Genre erfunden, anstelle des Open-Air- das Under-Water-
Kino. Hier wird die Autowaschanlage zum Ort des
künstlerischen Geschehens – und der Begriff einer ortsspezifischen
Kunst auf die Spitze getrieben.
Etwas Museums-ferneres als eine Autowaschanlage
kann man sich kaum vorstellen. Und wir sind mittendrin.
Timm Ulrichs jagt als seinen und unseren Stellvertreter
das technische Auge einer Kamera durch die Waschanlage.
Und zwar, anders als man das kennt, wenn man im
Auto sitzt und durch die Waschanlage fährt, ganz direkt,
ohne schützende Blech- und Glashülle.

In dieser unmittelbaren Perspektive entfaltet sich das
ganze Potential der maschinellen Bedrohung, wenn die
rotierenden Bürsten in Blau und Gelb auf uns zu- und
über uns hinwegwalzen, wenn sich die sprühenden,
wirbelnden Wassermassen von allen Seiten über uns
ergießen; Fontänen schießen wie Blitze, es scheint
Funken zu regnen. Kaum glaubt man sich dieser Sintflut
entronnen, kommen die Bürsten hinterrücks wieder,
bevor das Ganze im Finale abgeblasen, also besänftigend
trockengepustet wird.Der schnöde

Waschvorgang
entfaltet sich vor unseren Augen also als visuell überraschender, spannender Experimentalfilm und gewinnt
zugleich eine geradezu elementare Wucht.
Selbst in der medialen Vermittlung fühlen wir uns als
unmittelbare Zeugen des Geschehens, es ist eine Ortsbeobachtung
maximaler Intensität und ein filmisches
Eintauchen in die „Handlung“ par excellence. Nur durch die Verwendung eines speziellen wasserdichten Gehäuses
war die Kamera vor der sicheren Zerstörung gefeit.
Dennoch bleibt dieses Beobachten um jeden Preis, das
erst kurz vor der Selbstzerstörung halt macht, keine
rein mechanisch-maschinelle Handlung, sondern eine
menschliche Haltung, die eines unverbesserlichen Aufklärers
und Entlarvers, der den Dingen auf den Grund geht.
Im Oeuvre von Timm Ulrichs gibt es nicht von ungefähr
mehrere solcher passiven, leidenden Kameras, solche
die eingegipst und wieder freigeschlagen werden, Kameras
die verschluckt werden und die lange Reise durch
den Körper des Künstlers antreten und sogar ein direktes
Gegenstück zum Waschprogramm hier, Das brechende
Auge (Eine Kamera filmt ihren eigenen Tod) von 1973/1989.
Hier filmt die Kamera, wie eine allmählich näherkommende
Feuersbrunst sie allmählich zum Verlöschen
bringt, bis zum technischen Tod.
So weit geht das Waschprogramm nicht; die Kamera
überlebt in ihrem schützenden Gehäuse. Trotzdem
bleibt das optische Erlebnis elementar. Das ist Kunst,
die sich gewaschen hat
Timm Ulrichs: wikipedia
Texte:
Stephan Trescher